Hast Du den Verdacht, dass Dein Kind unter einer Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS) leidet? Dann möchtest Du sicherlich, dass es deshalb keinen Nachteil gegenüber seinen Klassenkameraden hat.
Um dies zu erreichen, kannst Du einen Nachteilsausgleich für Dein Kind beantragen. Wie das funktioniert und wie die Gesetzeslage in Nordrhein-Westfalen ist, das erfährst Du in diesem Artikel.
Bitte beachte, dass dieser Artikel nur den Nachteilsausgleich während der Grundschule und der Sekundarstufe I behandelt.
Was heißt Nachteilsausgleich?
Nachteilsausgleich ist eine Anpassung der Prüfungsbedingungen an die individuelle Situation Deines Kindes. Die fachlichen Anforderungen der Prüfung bleiben trotzdem gleich.
Das bedeutet für Dich, dass Prüfungsbedingungen angepasst oder verändert werden, damit Dein Kind eine vergleichbare Leistung zu seinen Mitschülern erbringen kann.
Es darf allerdings nicht passieren, dass die Prüfung dahingehend verändert wird, dass Dein Kind bevorzugt wird. Allgemeine Leistungsanforderungen der jeweiligen Schulart oder Klassenstufe müssen zum Beispiel eingehalten werden.
Nachteilsausgleich in der Grundschule und Sekundarstufe I
Für die Grundschule und die Sekundarstufe I gilt der LRS-Erlass des Landes Nordrhein-Westfalen.
LRS ist eine Abkürzung für „Lese-Rechtschreib-Schwäche“, „Lese-Rechtschreib-Störung“ oder auch für „Schwierigkeiten im Erlernen des Lesens und Rechtschreibens“.
Der LRS-Erlass besagt in §4:
Bei Diktaten oder wenn es ausdrücklich um die Testung der Rechtschreibleistung geht, dann kann in den Fächern Deutsch und Fremdsprachen die Lehrkraft entscheiden, ob sie eine andere Aufgabe stellt, mehr Bearbeitungszeit gewährt oder auch ganz auf die Benotung der Rechtschreibung verzichtet. Anstatt eine Note zu geben kann die Lehrkraft dann einen Kommentar unter die Klassenarbeit schreiben, damit Dein Kind, ebenfalls wie seine Mitschüler/innen, einen Anhaltspunkt über seine Leistungen erhält.
Darüber hinaus kann die Lehrkraft Deines Kindes entscheiden, dass sie in den Fremdsprachen Vokabelkenntnisse nur mündlich prüft.
Im LRS-Erlass von Nordrhein-Westfalen steht in §4.1 letzter Satz: „Die Rechtschreibleistungen werden NICHT in die Beurteilung der schriftlichen Arbeiten und Übungen im Fach Deutsch oder in einem anderen Fach mit einbezogen.“
Gleich anschließend in 4.2 steht: „Der Anteil des Rechtschreibens ist bei der Bildung der Note im Fach Deutsch ZURÜCKHALTEND zu gewichten.“
Deshalb stellt sich für mich die Frage: wird die Rechtschreibung nun NICHT mit einbezogen oder nur zurückhaltend gewichtet?
Das Schulministerium in NRW formuliert die Maßnahmen bezüglich des Nachteilsausgleiches recht schwammig und sehr widersprüchlich. Selbst ein Anruf im Ministerium brachte mich nicht zu einer eindeutigen Erkenntnis. Zuerst gab es keinen eindeutigen Ansprechpartner. Die Person, zu der ich dann weitergeleitet wurde, betonte, dass sie sich im Detail nicht auskennt. Hiermit möchte ich Dir Mut machen, auch eine Zweit- oder sogar Drittmeinung einzuholen. Denn beim Thema Legasthenie scheint mir die Rechtslage nicht ganz eindeutig zu sein. Sprich – alles ist Auslegungssache, je nachdem wer Dein Kind gerade bewertet. So ist zumindest mein Eindruck.
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Was muss die Schule tun?
Es ist die Pflicht der Deutsch-Lehrkräfte die einzelnen Kinder im Unterricht genau und kontinuierlich zu beobachten. Auf Basis dieser Beobachtungen wird dann eine Empfehlung bezüglich der Fördermaßnahmen für Dein Kind gegeben. Um, bei der Beurteilung Deines Kindes, ganz sicher zu gehen, kann sich die Lehrkraft eine Zweitmeinung eines Kollegen / einer Kollegin einholen.
Darüber hinaus gibt es auch Fälle, die die Beurteilung eines Schulpsychologen oder einer anderen Fachkraft erfordern.
In Abstimmung mit den Eltern berät die Klassenkonferenz über Art und Umfang des Nachteilsausgleichs für Dein Kind. Die Empfehlung hierzu legt die Klassenkonferenz dann der Schulleitung vor.
Letztendlich entscheidet immer die Schulleitung über die Gewährung des Nachteilsausgleichs.
Was müssen die Eltern tun?
Eigentlich sollten die Lehrkräfte die Initiative ergreifen und Dein Kind genau beobachten. Geschieht dies nicht, dann kannst Du selbst einen Antrag bei der Deutsch-Lehrkraft stellen. Das heißt, Du stellst dann einen Antrag auf zusätzliche Fördermaßnahmen für Dein Kind wegen einer Lese-Rechtschreib-Schwierigkeit.
Wo wird Dein Kind getestet?
In Nordrhein-Westfalen ist es nicht notwendig, dass Dein Kind einen Test macht oder von einem Sozialpädiatrischen Zentrum oder anderen getestet wird. Ausreichend ist alleine, dass Dein Kind über mehrere Monate hinweg eine unterdurchschnittliche Leistung im Bereich Lesen bzw. Rechtschreiben erbringt. Dies stellt wie bereits erwähnt die Deutsch-Lehrkraft fest.
Natürlich hast Du weiterhin die Möglichkeit Dein Kind auch außerhalb der Schule auf LRS testen zu lassen. Eine Pflicht dazu besteht aber nicht.
Wie sieht der Nachteilsausgleich aus?
Es gibt keinen festgelegten Nachteilsausgleich, auf den Dein Kind Anspruch hat, sobald eine LRS diagnostiziert wurde. Das heißt, es wird immer die jeweilige Maßnahme auf den konkreten Einzelfall bezogen.
Verschiedene Maßnahmen zum Nachteilsausgleich in Nordrhein-Westfalen sind:
- Verlängerung von Pausen-, Arbeits- und Vorbereitungszeiten
- Bereitstellung besonderer technischer Hilfsmittel. Das kann zum Beispiel ein Lesegerät oder ein Laptop sein.
- Einrichtung besonderer räumlicher Bedingungen. Oft wird ein separater Raum zur Verfügung gestellt, damit der/die Schüler/in ohne Ablenkung arbeiten kann.
- Eine Assistenz wird zur Seite gestellt, um die Arbeitsorganisation besser zu bewältigen.
Wie wird Dein Kind bewertet?
Bezüglich der Bewertung einer Leistung gibt es, ebenso wie beim Nachteilsausgleich, keine einheitliche Aussage. Die Lehrkraft KANN… heißt es beim Schulministerium Nordrhein-Westfalen.
Das bedeutet dann natürlich, dass die Lehrkraft entscheiden kann, welche Maßnahme sie Deinem Kind zuteilt. Ebenfalls kann die Lehrkraft darüber entscheiden wie streng, oder auch weniger streng sie diese Maßnahmen anwendet.
Unter den folgenden Möglichkeiten kann die Lehrkraft Deines Kindes auswählen, wenn es um die Bewertung einer Lese-Rechtschreib-Schwäche geht:
- Bei einem Diktat im Fach Deutsch oder, wenn die Rechtschreibung in einer Fremdsprache geprüft werden soll, kann die Lehrkraft
- Eine andere Aufgabe stellen
- Mehr Zeit gewähren
- Nicht Benoten, dafür aber unter die Klassenarbeit eine Bemerkung schreiben, damit Dein Kind einen Anhaltspunkt erhält über seinen Leistungsstand.
- In den Fächern der Fremdsprachen kann die Lehrkraft, anstelle der Vokabeltests, nur mündliche Leistungen von Deinem Kind bewerten.
- Bei anderen Klassenarbeiten und Übungen, bei denen es nicht um die Rechtschreibung geht, kann die Lehrkraft entscheiden, dass die Rechtschreibleistung Deines Kindes nicht bewertet wird. Dies gilt für alle Fächer.
- Bei der Bildung der Note im Fach Deutsch kann die Lehrkraft den Anteil des Rechtschreibens zurückhaltend gewichten.
Hier sieht man, dass die Lehrkraft entscheiden kann ob sie nur zurückhaltend gewichtet (wie im letzten Punkt) oder ob sie die Rechtschreibleistung gar nicht benotet (im ersten Punkt).
Deshalb ist es wichtig, dass Du ein Gespräch mit der Lehrkraft führst. In einem persönlichen Gespräch klärt sich vieles besser.
Welche Auswirkungen hat der Nachteilsausgleich
Wird Nachteilsausgleich gewährt, dann muss die Lehrkraft dies immer in der Schülerakte Deines Kindes dokumentieren. Dies bedeutet, dass die Lehrkraft alle Maßnahmen zur Förderung Deines Kindes dokumentiert. Ebenfalls dokumentiert werden alle Nachteilsausgleiche, die Dein Kind erhalten hat. Wann der Nachteilsausgleich mit Dir als Elternteil besprochen wurde, gehört auch in die Schülerakte.
Ein Nachteilsausgleich wird NICHT im Zeugnis vermerkt.
Allerdings kann eine Bemerkung im Zeugnis aufgenommen werden, dass Dein Kind an einer LRS-Fördermaßnahme teilgenommen hat.
Was sagen die Gesetze in NRW zur Legasthenie
Ein grundsätzliches Recht auf Nachteilsausgleich leitet sich bereits aus dem Grundgesetz ab. GG Artikel 3 besagt nämlich, dass niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf.
Das Schulgesetz von Nordrhein-Westfalen und die Ausbildungs- und Prüfungsordnung regeln den Nachteilsausgleich speziell für NRW.
Das Schulgesetz §2 Abs. 5 besagt:
Die Schule fördert die vorurteilsfreie Begegnung von Menschen mit und ohne Behinderung. In der Schule werden sie in der Regel gemeinsam unterrichtet und erzogen (inklusive Bildung). Schülerinnen und Schüler, die auf sonderpädagogische Unterstützung angewiesen sind, werden nach ihrem individuellen Bedarf besonders gefördert, um ihnen ein möglichst hohes Maß an schulischer und beruflicher Eingliederung, gesellschaftlicher Teilhabe und selbstständiger Lebensgestaltung zu ermöglichen.
§ 6 Absatz 9 der Verordnung über die Ausbildung und die Abschlussprüfungen in der Sekundarstufe I (APO-S I):
Soweit es die Behinderung oder der Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung einer Schülerin oder eines Schülers erfordert, kann die Schulleiterin oder der Schulleiter Vorbereitungszeiten und Prüfungszeiten angemessen verlängern und sonstige Ausnahmen vom Prüfungsverfahren zulassen. Entsprechendes gilt bei einer besonders schweren Beeinträchtigung des Lesens und Rechtschreibens. Die fachlichen Leistungsanforderungen bei Abschlüssen und Berechtigungen bleiben unberührt.
Empfehlungen zum Üben
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SteffiB meint
Hallo,
ist es in NRW tatsächlich erforderlich, jedes Jahr erneut einen Antrag auf Nachteilsausgleich zu stellen?
Luisa meint
Die Rechtslage in NRW ist einfach frustrierend. In anderen Bundesländern gibt es ÖRS-Förderung für alle betroffenen Kinder. In Sachsen gibt es sogar spezielle LRS-Schulen. In NRW gibt es in äußersten Ausnahmefällen vom Land finanzierte Förderung. Im Übrigen werden die Familien alleine gelassen. Wir müssen für unser Kind selbst kämpfen, Förderung suchen und auch selbst bezahlen. Die Experten bei uns in der Umgebung sind überlastet. Wir stehen bei 6 Stellen auf der Warteliste. Die Wartezeit beträgt mindestens ein Jahr. Was sollen wir noch tun? Wie kann unser Kind die ihn zustehende Unterstützung erhalten? Wir leben in einem Land. Warum diese Differenzen? Schlichtweg zum Verzweifeln.
Simone meint
Bisher sind wir leider trotz diverser Tests und jeder Menge Anstrengungen auf keine Lehrkraft / Schule gestoßen, die LRS ernst nimmt. Nun im 7. Schuljahr heißt es, es bestehe nur wenig Engagement seitens meiner Tochter weswegen sie aus der schulseitigen LRS Förderung gefallen ist. Somit endet auch der Nachteilsausgleich – ist das so einfach? Hat jemand ähnliche Erfahrungen und einen Rat?
Mama4 meint
Über die aktuelle Rechtslage bei benachteiligten Schülern kann man in NRW eigentlich nur lachen! Da in allen Gesetzen und Verordnungen immer nur das Wörtchen “kann” verwendet wird ist das betroffene Kind voll und ganz der “Laune” und “dem guten Willen” der Schulleitung unterworfen. Was an der einen Schule problemlos funktioniert, weil die Schulleitung im Thema ist, ist an der anderen Schule schlichtweg eine Katastrophe! Es kann nichts ein, dass die betroffenen Kinder so dermaßen von einer Person abhängig sind! Hier müssen endlich klare Richtlinien her und die Verpflichtung der Schulleitungen jedem betroffenen Kind einen individuellen Nachteilsausgleich zu gewähren.
Schule in Deutschland meint
Hallo Diana,
im Abschnitt “Was müssen die Eltern tun” findest Du alle Antworten. In NRW kannst Du einen Antrag bei der Deutsch-Lehrkraft stellen.
Viele Grüße
Martina
Klein meint
Wo kann man einen nachteilsausgleich beantragen?
Mama √ meint
Hallo und vielen Dank für Ihren Artikel. Ich werde mich zunächst mit meinem Kind beim Kinderarzt melden uns dort Mal fragen, was ich für ihn tun kann. Ihr Text hat mich zum Nachdenken gebracht und alle Kurztest, haben ergeben, dass mein Kind mächtig Probleme in Deutsch Mathe und Ausführungen der Fächer und Aufgaben hat.
Messingseifenpumpe meint
Vielen Dank für diesen Artikel. Viel Glück.