Macht Dein Kind verdächtig viele Fehler beim Schreiben? Tut es sich verdammt schwer beim Lesen?
Sicherlich hast Du bereits die Befürchtung, dass Dein Kind unter einer Legasthenie oder einer Lese-Rechtschreibstörung leidet.
In diesem Artikel erfährst Du, wie das Land Niedersachsen mit einer Lese-Rechtschreibstörung bei Schüler/innen umgeht und was Du als Mutter oder Vater tun kannst, um Deinem Kind zu helfen.
Bitte beachte, dass dieser Artikel nur den Nachteilsausgleich während der Grundschule und der Sekundarstufe I für den Bereich Lese-Rechtschreibschwäche behandelt.
Wie wird eine Lese-Rechtschreibstörung oder Legasthenie festgestellt?
Zuallererst muss man sagen, dass es die Aufgabe einer Lehrkraft ist, die Entwicklung Deines Kindes zu beobachten und festzustellen, ob ein Förderbedarf vorliegt. Dies ist auch so im Fall der Lese- und Rechtschreibleistungen.
Der Erlass zur Förderung von Schülerinnen und Schülern mit besonderen Schwierigkeiten im Lesen, Rechtschreiben oder Rechnen schreibt dies bereits im ersten Absatz vor.
Das heißt es ist gesetzlich festgeschrieben, dass die Lehrkräfte eine Verpflichtung haben die Lese-Rechtschreibstörungen ihrer Schüler/innen zu erkennen und auch Maßnahmen dagegen zu entwickeln.
Dokumentation der individuellen Lernentwicklung
In Niedersachsen wird für alle Schüler/innen eine individuelle Lernentwicklung dokumentiert. Diese Dokumentation beginnt in Klasse 1 und geht bis Klasse 10. Halbjährlich werden die Entwicklungsschritte Deines Kindes erfasst. So kann eine Lehrkraft dann auch schnell erkennen, wenn Abweichungen zum Durchschnitt der Schüler/innen bestehen.
Wer gewährt den Nachteilsausgleich?
Ein Rechtsanspruch auf Nachteilsausgleich besteht in Niedersachsen nicht. Der Erlass zur Förderung von Schülerinnen und Schülern mit besonderen Schwierigkeiten im Lesen, Rechtschreiben oder Rechnen besagt zwar, dass ein Nachteilsausgleich gewährt werden kann.
Ob dieser allerdings gewährt wird, das entscheiden die Lehrkräfte Deines Kindes. Die Entscheidung erfolgt aufgrund von pädagogischem Ermessen.
Je nachdem wie die Lehrkräfte Deines Kindes die Situation einschätzen, danach wird bemessen ob und welche Formen eines Nachteilsausgleichs Dein Kind bekommt. Es können auch andere Fördermaßnahmen beschlossen werden.
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Es steht Dir natürlich frei, Dein Kind psychologisch untersuchen zu lassen und ein Gutachten erstellen zu lassen. Ein solches Gutachten kannst Du dann der Schule vorlegen.
Aber durch das ärztliche Gutachten hast Du trotzdem keinen Rechtsanspruch auf einen bestimmten Nachteilsausgleich. Trotzdem kann das ärztliche Gutachten die Lehrkräfte ein wenig beeinflussen in ihren Entscheidungen. Wenn bereits ein Arzt, Psychologe oder Sozialpädiatrisches Zentrum eine Diagnose gestellt hat, dann werden sich die Lehrkräfte bestimmt nicht so einfach dagegen stellen. Meinen hingegen „nur“ die Eltern, dass ihr Kind eine Legasthenie hat, dann wehren die Lehrkräfte vielleicht schon eher einen Antrag auf Lese-Rechtschreibschwäche ab.
Umgekehrt dürfen die Lehrkräfte nicht von Dir verlangen, dass Du ein psychologisches Gutachten erstellen lässt oder andere außerschulischen Einschätzungen vornehmen lässt.
Wie sieht der Nachteilsausgleich aus?
Auf Basis der individuellen Lernentwicklung, die seit der 1. Klasse dokumentiert ist, entscheidet die Klassenkonferenz, ob Dein Kind eine Förderung benötigt.
Die Klassenkonferenz plant dann die Förderschritte und auch die einzelnen Maßnahmen der Förderung für Dein Kind.
Hat Dein Kind nur geringe Schwierigkeiten beim Lesen und/oder Rechtschreiben oder ist die Legasthenie nur leicht ausgeprägt? Dann wird Dein Kind innerhalb seiner Klasse gefördert.
Das bedeutet, es bleibt in der Klasse und bekommt spezielle Aufgaben in den Fächern Deutsch, Mathematik und Fremdsprachen. Der Vorteil ist, dass Dein Kind in seiner Klasse bleiben kann und somit weitere Frustrationen oder psychische Probleme vermieden werden können.
Reicht diese Förderung allerdings nicht aus, dann werden weitere Schritte besprochen. Dies wird dann immer auf den einzelnen Schüler / die einzelne Schülerin zugeschnitten und wird dann als besondere Förderung bezeichnet.
Besondere Förderung
Bei großen Schwierigkeiten im Lesen- und Rechtschreiben bekommt Dein Kind eine besondere Förderung. Unterschieden wird hier
- Wenn Dein Kind in der 1. oder 2. Klasse ist und ihm die grundlegenden Voraussetzungen für das Lesen- und Schreibenlernen fehlen.
- Wenn Dein Kind in der 3. oder 4. Klasse ist und seine Leistungen nicht den Anforderungen entsprechen. Das Gesetz in Niedersachsen gibt hier einen Zeitraum von mindestens 3 Monaten vor. Das heißt, wenn Dein Kind 3 Monate oder länger sehr schlechte Leistungen im Lesen- und/oder Rechtschreiben zeigt.
- Ist Dein Kind in der Klasse 5-10 und seine Lese- und/oder Rechtschreibschwierigkeiten konnten noch nicht behoben werden.
Wie sieht besondere Förderung aus?
Im niedersächsischen Erlass zur Förderung von Schülern und Schülerinnen mit besonderen Schwierigkeiten im Lesen, Rechtschreiben oder Rechnen werden die folgenden Maßnahmen zur besonderen Förderung erwähnt:
- Training der phonologischen Bewusstheit als Voraussetzung für den Schriftspracherwerb,
- Rechtschreibprogramme, die dem individuellen Lernstand angepasst sind,
Die jeweilige Schule muss in ihrem Förderkonzept eine besondere Förderung für Dein Kind einplanen. Denn wenn die oben genannten Maßnahmen nicht ausreichen, dann müssen weitere Förderungen folgen. Dies können zum Beispiel klassenübergreifende, jahrgangsübergreifende oder schulübergreifende Förderungen sein, an denen Dein Kind teilnehmen muss.
Außerdem sollen die Klassenlehrkräfte mit den Fachlehrkräften eng zusammenarbeiten, um die Förderung für Dein Kind bestmöglich zu koordinieren.
Kann Dein Kind anders bewertet werden?
Im Prinzip ist dies möglich. Die Deutschlehrkraft oder auch die Lehrkraft der Fremdsprachen muss dies allerdings beantragen. Eine Entscheidung darüber fällt dann die Klassenkonferenz. Basis für die Entscheidung der Klassenkonferenz bildet die Lernentwicklung Deines Kindes. Allerdings wird eine Abweichung von den Grundsätzen der Leistungsbewertung nur in Ausnahmefällen genehmigt.
Wird eine Abweichung genehmigt, dann kann dies zum Beispiel sein:
- Die mündliche Leistung Deines Kindes wird stärker gewichtet, zum Beispiel in den Fremdsprachen
- Zeitweilig wird auf die Bewertung der Lese- und/oder Rechtschreibleistung verzichtet
Hilfen im Sinne eines Nachteilsausgleichs
Bevor allerdings von der Leistungsbewertung abgewichen wird, sollen Hilfen im Sinne eines Nachteilsausgleichs angewendet werden.
Zum Beispiel können dies sein:
- Bei Klassenarbeiten bekommt Dein Kind mehr Zeit zur Verfügung
- Deinem Kind werden didaktische und technische Hilfsmittel zur Verfügung gestellt
- Die Aufgabenstellung wird dem Lernstand Deines Kindes angepasst
- Die Klassenkonferenz kann auch über den Einsatz von elektronischen Medien entscheiden
In den übrigen Fächern (außer Deutsch und Fremdsprachen) kann auf die Bewertung der Rechtschreibleistung Deines Kindes verzichtet werden. Darüber entscheidet wieder die Klassenkonferenz.
All diese Abweichungen von den regulären Bewertungsregeln müssen in der Dokumentation über die Lernentwicklung Deines Kindes ausgewiesen werden.
Wird ein Nachteilsausgleich im Zeugnis vermerkt?
Wurde Dein Kind anders bewertet aufgrund seiner Lese-Rechtschreibstörung, dann muss das unter „Bemerkungen“ im Zeugnis aufgeführt werden. Das Kultusministerium schreibt hierzu „wenn von den Grundsätzen der Leistungsmessung abgewichen wird“. Ansonsten wird ein Nachteilsausgleich nicht im Zeugnis vermerkt sondern nur im Protokoll der Klassenkonferenz.
In den Abgangs- oder Abschlusszeugnissen werden allerdings keine solchen Bemerkungen aufgeführt. Es sei denn die Eltern oder der bereits volljährige Schüler wünscht ausdrücklich, dass die Lese-Rechtschreibstörung im Abschlusszeugnis erwähnt wird.
Was können die Eltern tun?
Eigentlich sollten die Lehrkräfte Deines Kindes von alleine tätig werden und feststellen ob Dein Kind Förderbedarf hat. Tun sie das nicht, dann muss Dein Weg als nächstes in die Sprechstunde der Deutsch-Lehrkraft führen. Dort besprichst Du Deine Befürchtungen und fragst nach ob die Lehrkräfte bereits ähnliche Auffälligkeiten bemerkt haben.
Stellt sich die Lehrkraft stur und will nichts Ungewöhnliches bei Deinem Kind feststellen, dann sollte Dein nächster Schritt zum Schulpsychologen führen. Oder Du lässt ein außerschulisches Gutachten erstellen. Dazu kannst Du zu einem Kinderpsychologen oder auch in ein sozialpädiatrisches Zentrum gehen.
Hierdurch bekommt Dein Kind rechtlich trotzdem noch keinen Anspruch auf einen Nachteilsausgleich oder Fördermaßnahmen. Allerdings erhöhst Du den Druck auf die Lehrkräfte der Schule, indem Du ein Gutachten von einem Kinderpsychologen vorlegst.
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Was sagen die Gesetze in Niedersachsen zur Legasthenie?
Über all den Vorschriften und Gesetzen zur Legasthenie steht der Artikel 3 Absatz 3 im Grundgesetz. Dieser lautet: „niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“
Auf dieser Grundlage bauen dann die Vorschriften der jeweiligen Bundesländer zum Thema Legasthenie auf.
Die drei Hauptgesetze bzw. Erlasse, die wichtig sind, wenn Du Dich über Legasthenie in Niedersachsen informieren möchtest sind
- §54 Abs. 1 Schulgesetz von Niedersachsen: „Unterschiede in den Bildungschancen sollen für betroffene Schüler/innen mit besonderer Förderung ausgeglichen werden.“
- Erlass zur Förderung von Schülerinnen und Schülern mit besonderen Schwierigkeiten im Lesen, Rechtschreiben oder Rechnen: „Die Schule muss dafür sorgen, dass die Schüler/innen die notwendigen Kenntnisse im Bereich Lesen und Rechtschreiben erwerben.“
- Erlass Schriftliche Arbeiten in den allgemein bildenden Schulen
Was heißt Nachteilsausgleich in Niedersachsen?
Die Gesetze in Niedersachsen vermeiden den Begriff „Nachteilsausgleich“. Stattdessen werden die Begriffe „Förderung“, „Besondere Förderung“, „Abweichung von den Grundsätzen der Leistungsbewertung“ und „Hilfen im Sinne eines Nachteilsausgleichs“ verwendet.
Wie auch immer die Begrifflichkeiten im jeweiligen Bundesland sind: Fakt bleibt, dass Kinder mit Schwierigkeiten im Lesen- und Rechtschreiben einen Anspruch auf besondere Maßnahmen haben.
Aus diesem Grund habe ich im Artikel immer den Begriff Nachteilsausgleich verwendet, obwohl es ganz korrekt eigentlich „Hilfen im Sinne eines Nachteilsausgleiches“ heißen möchte.
Wie geht es Dir mit dem Nachteilsausgleich in Niedersachsen? Hinterlasse einen Kommentar und teile Deine Erfahrungen mit den anderen Lesern.
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Ilka meint
Hallo,
ich lese den Artikel zu meinem eigenen Verständnis und stolpere dabei über ein paar Ungenauigkeiten.
In dem Artikel heißt es: „… es ist gesetzlich festgeschrieben, dass die Lehrkräfte eine Verpflichtung haben die Lese-Rechtschreibstörungen ihrer Schüler/innen zu erkennen und auch Maßnahmen dagegen zu entwickeln.“
Ja, die Lehrkräfte erkennen eine Lese-Rechtschreibstörung / Rechenschwäche und versuchen auch den Kindern die bestmögliche Unterstützung zu bieten – aber die Lehrkräfte sind keine Therapeuten, d.h. Maßnahmen dagegen zu entwickeln ist in meinen Augen ungenau und führt ggf. zu falschen Erwartungen seitens der Eltern.
Maike meint
Guten Tag,
wie kann es sein, dass der Nachteilsausgleich, so wie er in der gesamten Schulzeit vollzogen wurde, nicht zur Prüfung zulässig ist?
Da wird dann von „Gleichberechtigung“ aller Schüler/innen geschrieben…
Wo ist dann die Gleichberechtigung derer, die den nachgewiesenen Nachteil haben?
Sorry, aber das will mir nicht in den Kopf, dass da dieser, in meinen Augen sehr gravierende, Unterschied in Hinsicht der Gleichberechtigung gemacht wird.
Gibt es da eine konkrete und handfeste Antwort drauf?
Vielen Dank schon mal.
Frauke meint
Ich habe folgendes Problem: Mein Sohn besucht zur Zeit die 10. Klasse eines Gymnasiums und ist insgesamt ein sehr guter Schüler (1,2 im Durchschnitt). Er hat eine ausgeprägte Legasthenie, die wir über die Jahre nicht in den Griff bekommen haben. Bis jetzt wurde seine RS-Leistung nicht bewertet. Aber in der Oberstufe soll sich das nun ändern. Er wird dann immer – in jeder Klausur – 2 Punkte abgezogen bekommen, weil die Rechtschreibung nun voll bewertet wird.
Kann ich als Mutter dagegen Widerspruch einlegen oder juristisch dagegen vorgehen? ich finde das sehr ungerecht. Ich wünsche meinem Sohn, dass er weiterhin Freude an der Schule hat und auch weiterhin Erfolgserlebnisse und keinen Frust, weil er überall etwas abgezogen bekommt.
Über weitere Informationen wäre ich sehr dankbar!
JM meint
Es ist immer wieder erstaunlich, dass die Schulen regelmäßig weder Dyskalkulie noch LRS erkennen ( wollen? ), noch von sich aus Fördermaßnahmen ergreifen. Üblicherweise werden sogar Beobachtungen der Eltern als unzutreffend und alles im Normbereich befindlich bezeichnet. So wird leider den Kindern sehr viel Zeit, in denen sie schon gefördert werden könnten, genommen !
Schule in Deutschland meint
Die KMK gibt nur allgemeine Empfehlungen. Dich interessiert aber der jeweilige Erlass Deines Bundeslandes. Deshalb habe ich unten im Artikel den „Erlass zur Förderung…“ für Niedersachsen verlinkt. Hier findest Du die entsprechenden Formulierungen vom Gesetzgeber. Unter anderem Punkt 3.1. …den Schüler/innen spezielle Übungen im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Deutsch-,..Mathematikunterricht angeboten werden. Klick den Link, dann wirst Du weitergeleitet und kannst den kompletten Erlass lesen. Keine Angst es sind nur 5 Seiten, die helfen Dir sicherlich weiter.
Alles Gute
Martina
Palindrom meint
Vielen Dank für Ihre Zusammenfassung der wichtigsten Informationen zu diesem Thema.
Ich lese in Ihrem Artikel unter möglichen Maßnahmen als Nachteilsausgleich unter anderem auch: „Die Aufgabenstellung wird dem Lernstand Deines Kindes angepasst“.
Im Erlass des KMK kann ich das leider so nicht finden. Und auf diesen Erlass beziehen sich die Schulen. Ich höre es immer wieder, dass es nicht möglich sei die Aufgaben anzupassen.
Darf ich fragen, wo Sie diesen Satz gefunden haben?
Schule in Deutschland meint
Hallo Birte
Ich habe den Beitrag jetzt ein wenig umgeschrieben. Dann entstehen hoffentlich keine Missverständnisse mehr. Denn, wenn von den Grundsätzen der Leistungsmessung abgewichen wird, dann sollen diese Nachteilsausgleiche in den Zeugnissen aufgeführt werden. So schreibt es das Kultusministerium Niedersachsen.
viele Grüße
Martina
Ms DuSie meint
NTAusgleiche dürfen nicht im Zeugnis vermerkt werden!!
https://www.mk.niedersachsen.de/download/113828/Aufsatz_Nachteilsausgleich_aus_paedagogischer_Perspektive.pdf
Dyslexia meint
Auch in Niedersachsen ist ein Nachteilsausgleich rechtlich durchsetzbar, wenn eine Legasthenie (= Behinderung iSd. Art. 3 GG) besteht. Bei der Entscheidung, in welchem Umfang ein Nachteilsausgleich für eine Legasthenie gewährt wird handelt es sich um gebundenes Ermessen, das gerichtlich überprüfbar ist. wird kein Nachteilsausgleich gewährt kann man auch hiergegen Widerspruch einlegen.
Man kann auch immer einen Widerspruch gegen die Entscheidung der Schule einlegen und sollte dies auch tun, wenn die behinderungsbedingten Nachteile nicht durch wirksame Maßnahmen ausgeglichen werden. Denn niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden!