Mädchenschulen sind heutzutage in Deutschland ziemlich selten geworden. Nur noch etwa 130 dieser Schulen gibt es – und die meisten davon im Süden. In anderen Regionen, vor allem im Norden und Osten, findet man kaum noch welche. Wenn man diese Zahl den über 36.000 koedukativen Schulen gegenüberstellt, in denen Mädchen und Jungen zusammen lernen, fragt man sich schnell: Sind Mädchenschulen nicht ein Relikt aus der Vergangenheit? Haben sie in unserer modernen Zeit überhaupt noch eine Bedeutung?
Wo kommen Mädchenschule eigentlich her?
Früher waren Mädchenschulen etwas, das sich nur wohlhabende Familien für ihr Töchter leisten konnten. Die Mädchen wurden auf ihre „künftige Rolle“ vorbereitet: Ehefrau, Mutter und Hüterin des Hauses. Anstatt sie auf eine berufliche Karriere vorzubereiten, ging es mehr darum, wie sie eine gute Frau für ihren zukünftigen Ehemann werden konnten. Doch mit der Zeit änderte sich das – zum Glück!
Mädchenschulen wurden irgendwann zu einem Symbol für die Emanzipation der Frauen. Hier ging es auf einmal darum, Mädchen den Zugang zu höherer Bildung zu ermöglichen und sie nicht nur auf den Haushalt vorzubereiten.
In den 1960er-Jahren kam dann der große Umbruch mit den Bildungsreformen: Koedukation wurde der Standard, und die Mädchenschulen verschwanden immer mehr. Aber einige sind geblieben – und es gibt gute Gründe dafür.
Mädchenschulen vs. koedukative Schulen – Was ist anders?
Der offensichtlichste Unterschied liegt natürlich darin, dass in Mädchenschulen nur Mädchen unterrichtet werden, während in koedukativen Schulen Jungen und Mädchen zusammen lernen. Doch diese Trennung hat Auswirkungen, die vielleicht nicht jedem bewusst sind.
In Mädchenschulen, so zeigen einige Studien, fühlen sich Mädchen in naturwissenschaftlichen Fächern wie Physik oft wohler und haben mehr Selbstvertrauen. Eine Studie von Wiebke Waburg, einer Erziehungswissenschaftlerin, zeigt, dass Mädchen in diesen Schulen oft mehr Interesse an MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) entwickeln. Der Grund? Sie müssen nicht befürchten, dass die Jungs in der Klasse ihnen die Schau stehlen – etwas, das in gemischten Klassen häufiger passiert. In Mädchenschulen übernehmen die Schülerinnen selbst die praktischen Aufgaben und können sich ohne den Druck der Jungs ausprobieren. Das fördert nicht nur das Interesse, sondern auch das Selbstbewusstsein.
Die Kehrseite: Was spricht gegen Mädchenschulen?
Natürlich gibt es auch kritische Stimmen. Einige sagen, dass Mädchenschulen die Geschlechtertrennung zu sehr betonen und damit die Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen eher verfestigen, als sie aufzubrechen. Der Erziehungswissenschaftler Jürgen Budde warnt zum Beispiel davor, dass diese Trennung dazu führen könnte, dass Stereotype eher verstärkt werden. Indem man die Geschlechter so deutlich trennt, könnte der Eindruck entstehen, dass Jungen und Mädchen grundlegend unterschiedlich sind – dabei wissen wir ja, dass das nicht der Fall ist.
Eine weitere Herausforderung bei Mädchenschulen ist, dass viele von ihnen privat und konfessionell geführt werden, was bedeutet, dass Schulgeld anfällt. Auch wenn es Stipendien gibt, bleiben diese Schulen oft einer bestimmten sozialen Schicht vorbehalten. Das wirft die Frage auf: Tragen Mädchenschulen dazu bei, soziale Ungleichheiten im Bildungssystem zu verstärken?
Förderung in Naturwissenschaften – Ein echter Vorteil?
Ein großes Plus von Mädchenschulen, das man nicht ignorieren sollte, ist die Förderung in den Naturwissenschaften. In Fächern wie Physik und Chemie, die oft als „männlich“ angesehen werden, schneiden Mädchen in Mädchenschulen tendenziell besser ab.
Was spannend ist: In koedukativen Klassen übernehmen oft die Jungen die Führung bei Experimenten, während die Mädchen eher passive Aufgaben übernehmen – wie das Schreiben von Protokollen. In reinen Mädchenschulen gibt es das nicht. Hier machen die Schülerinnen alles selbst und entwickeln dadurch viel mehr Selbstvertrauen.
Stefanie Hubig, die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, spricht sich für getrennten Unterricht in den Fächern Mathematik und Physik aus. Mädchen seien in diesen Fächern zurückhaltender und werden dadurch zu leicht in den Hintergrund gedrängt. In reinen Mädchenklassen erhalten Mädchen eine bessere Chance und können dadurch in diesen Fächern viel mehr teilhaben.
Zickenkrieg vorprogrammiert?
Man sollte meinen, dass an einer reinen Mädchenschule der Zickenkrieg vorprogrammiert ist. Aber das Gegenteil ist der Fall. Schülerinnen an Mädchenschulen beschreiben es als befreiend, weil kein Konkurrenzkampf um irgendwelche Jungs besteht. Es gibt deshalb keine Zickereien, um die Konkurrentin auszustechen. Zumal sie nach der Schule immer noch genügend Zeit finden, um sich mit Jungs zu treffen, falls sie das möchten.
Mädchenschulen als Orte der Persönlichkeitsentwicklung
Ein weiterer Punkt, der oft gelobt wird, ist die individuelle Förderung in Mädchenschulen. Hier geht es nicht nur um gute Noten, sondern auch darum, die Schülerinnen in ihrer Persönlichkeit zu stärken. Viele Absolventinnen berichten, dass sie in ihrer Schule nicht nur intellektuell, sondern auch sozial gefördert wurden. Sie lernten, sich selbst besser zu verstehen und Vertrauen in ihre Fähigkeiten zu entwickeln.
Was in Mädchenschulen auch häufig vorkommt: Die Schülerinnen werden in Entscheidungsprozesse der Schule eingebunden. Zum Beispiel, wenn es um den Einsatz von digitalen Medien im Unterricht geht – die Schülerinnen werden direkt gefragt und können mitgestalten. Das gibt ihnen das Gefühl, ernst genommen zu werden und aktiv an ihrer eigenen Bildung mitzuarbeiten.
Haben Mädchenschulen noch eine Zukunft?
Die Frage, ob Mädchenschulen in einer modernen Gesellschaft noch zeitgemäß sind, bleibt spannend. Manche glauben, dass gemischte Schulen besser auf die Vielfalt der heutigen Welt vorbereiten. Andere sehen gerade in den Mädchenschulen noch immer eine Chance, Mädchen besonders in den Bereichen zu fördern, in denen sie traditionell weniger vertreten sind – wie den Naturwissenschaften.
Ein Problem bleibt: Wie schafft man es, dass Mädchenschulen nicht in alte Rollenmuster zurückfallen und die Geschlechtertrennung zu sehr betonen? Der Fokus sollte nicht auf der Unterscheidung zwischen Jungen und Mädchen liegen, sondern auf der individuellen Förderung jeder Schülerin – unabhängig von Geschlecht, sozialer Herkunft oder persönlichen Interessen.
Fazit: Mädchenschulen – Ja oder Nein?
Auch wenn die Zahl der Mädchenschulen sinkt, haben sie immer noch eine wichtige Rolle. Sie bieten Mädchen einen Raum, in dem sie sich ohne den Druck durchsetzen können, der in gemischten Klassen oft vorhanden ist. Vor allem in den naturwissenschaftlichen Fächern haben Mädchen hier die Chance, mehr Selbstvertrauen zu entwickeln und sich auszuprobieren. Gleichzeitig müssen Mädchenschulen aufpassen, dass sie nicht in veraltete Rollenmuster verfallen.
Die Zukunft der Mädchenschulen hängt stark davon ab, wie gut sie sich an die Herausforderungen der modernen Welt anpassen. Wenn sie es schaffen, den Fokus auf individuelle Förderung und Vielfalt zu legen, dann haben sie definitiv weiterhin einen Platz im Bildungssystem – auch wenn sie selten geworden sind.
Also, sind Mädchenschulen ein Auslaufmodell? Vielleicht. Aber solange sie Mädchen eine einzigartige Lernumgebung bieten, in der sie wachsen und sich entfalten können, haben sie definitiv noch ihre Berechtigung.
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